DIE STADT DER DICHTER
17. Juni 2019
Verfasst von Markus Roepke
Nun, über den Iran kann man viel lesen und es gibt einige ganz tolle Bildbände. Dazu drei sehr gute Reiseführer – jeder davon sein Geld wert und im Doppel- oder Dreierpack ergänzen sich die Schwerpunkte ideal. Gut beraten wird jeder in seiner persönlichen Lieblingsbuchhandlung und auch die Mitarbeiter vom Globetrotter München sind ziemlich fit und haben alle verfügbaren Karten zur Hand. Nicht außer Acht lassen sollte man bei der Reiseliteratur jedoch auch die Berichte von Menschenrechtsorganisationen und guten Journalisten über die andere Seite des Iran.
Aber sich etwas anlesen und reinhören ist etwas ganz anderes als eigene Erfahrungen zu machen. Darum haben wir uns auf den Weg gemacht, um eines der sichersten und auf alle Fälle gastfreundlichsten Länder der Welt zu besuchen.
Die Menschen in Iran
Wir sind natürlich als Touristen erkennbar und so sprechen uns auf der Straße ganz viele Menschen an. Wo wir herkommen ist die erste Frage und wenn wir antworten „Germany/Alman“ dann ist die Freude groß, denn Deutschland hat einen sehr guten Ruf bei den Menschen. „Merkel very good“ hören wir genauso wie „Bayern Munich“. Da die Iraner sich als Arier (gleicher Wortstamm) verstehen, fühlen sie sich mit uns Deutschen verwandt, Hitler ist nicht nur bekannt, sondern wir finden „Mein Kampf“ und andere Bücher mit seinem Konterfei in wirklich jeder Buchhandlung im Schaufenster! Sehr, sehr merkwürdig… Den Hintergrund hat mir ein Buchhändler in Teheran so erklärt: Iran steckt in der Krise und man wünscht sich einen charismatischen Führer, der Land und Leute voranbringt, denn der Regierung fehle es an Energie und Durchsetzungsvermögen. Nun denn … Allerdings hören wir in dem Zusammenhang kein einziges antisemitisches Wort, sondern der 2. Weltkrieg und der Holocaust werden als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesehen.
Viele Passanten möchten mit uns Fotos machen, die Männer sprechen mich an und die Mädchen und Frauen wenden sich an Magdalena. Und natürlich werden sofort Instagram-Accounts ausgetauscht. Soweit wir englisch kommunizieren können, wird nach unseren Eindrücken vom Iran gefragt. Den Iranern ist es wichtig zu wissen, was die Menschen „draußen“ über sie denken – trotz oder gerade wegen der Sanktionen, die das Land sehr abschotten. Ganz oft betonen sie, dass wir Menschen viel mehr miteinander reden müssen, denn dann gäbe es keine Probleme. Nur „die da oben“ seien schlimm und an der Misere schuld. Oft werden wir auch ganz spontan in die Privatwohnungen eingeladen und immer wirklich ernsthaft! Auch bieten sie uns Hilfe und Unterstützung an, wenn wir irgendwelche Fragen haben. So offen und im wahrsten Wortsinn „gast-freundlich“ wie die Iraner auf uns zugehen begegnen wir jedenfalls den Touristen in Deutschland nicht … und schon erst recht nicht den Flüchtlingen.
Wobei uns natürlich diese Aufmerksamkeit und Sorge um unser Wohlergehen uns auch manchmal etwas nervt. Wie schon vor dreißig Jahren in der Türkei können wir uns den einsamsten Fleck auf der Erde weitab jeder Straße und Siedlung suchen – früher oder später schaut ein Hirte oder ein Pärchen auf dem Moped vorbei oder ein Ranger vom Nationalpark begleitet uns auf Schritt und Tritt. Das ist dann die harmlose Variante – richtig schwierig wird es, wenn wir es uns in der Prärie gemütlich gemacht haben und dann jemand uns versucht wegzuschicken mit der Begründung, der Platz sei zu gefährlich zum Übernachten. Ja, die Iraner seien ganz freundliche Menschen bestätigen sie – nur gerade hier drohe Gefahr und wir sollten besser bei einer Tankstelle oder Polizeistation schlafen. Das geht dann soweit, dass wir schon bei der Polizei angeschwärzt wurden, die dann mitten in der Nacht mit acht Mann und schwerbewaffnet als „Räumkommando“ auftauchte. Leider hapert es dann zu oft an einer guten Kommunikation mangels einer gemeinsamen Sprache und man trennt sich schulterzuckend und nicht ganz glücklich mit der Situation.
Öffentliches Leben
Irgendwie ist vieles anders im Iran und kommt mir doch bekannt vor…
So sind die Preise für Benzin und Diesel vom Staat festgelegt und überall gleich und mit 2 – 6 Eurocent/Liter der billigste Sprit, den man weltweit kaufen kann. Nur in Venezuela ist es billiger, weil kostenlos. Tankstellen verkaufen auch nur Sprit und sonst nix. Die obligatorische Tankkarte für Diesel erinnert mich an eine Rationierung für die Berufskraftfahrer wie in sozialistischen Ländern. Überhaupt gibt es einige gefühlte Parallelen zu Russland oder Kuba:
Auf den breiten Boulevards begrüßen uns die Religionsführer Khomeini und Chatami von Plakaten und Hauswänden wie auf Kuba Fidel Castro und Che Guevara. Flankiert von den Fotos der Märtyrer – sprich gefallenen Soldaten des Kriegs mit dem Irak von 1980 – 1988 bei dem fast eine Million Iraner ums Leben kamen. Überhaupt wird mit dem Krieg ein ziemlicher Heldenkult betrieben. Aber ähnlich wie in Russland, wo der „Große vaterländische Krieg“ die ganze Nation einschließlich der orthodoxen Kirche im Kampf gegen Deutschland einte, rückt die iranische Bevölkerung bei jeder Bedrohung von Außen (Irakkrieg damals, heute die Sanktionen) enger zusammen. Wenn die Nation bedroht wird, hat man keine Zeit für Regierungskritik oder Opposition. Dann steht das eigene Land im Vordergrund und eine Verteidigungsbereitschaft ist nach mehrfachem Nachfragen ganz deutlich zu erkennen.
An den Ortseingängen gibt es immer einen Kreisverkehr, mit dessen Dekoration die Vorzüge, das Motto oder Schwerpunkte des Ortes mit einer Plastik dargestellt werden. So begrüßten uns schon übergroße Tomaten, Orangen oder Granatäpfel sowie Weberinnen, Töpfer und Schmiede.
Und auf den Straßen sieht man noch überwiegend drei bis vier automobile Einheitsmodelle: Den Saipa 121(der ein kleiner Kia ist), den Peugeot 405 Pars, den alten Paykan (alle drei meistens in weiß) und als Pick-Up den ausschließlich blauen Zamyad. Die Iran Kodro Corporation – seit 1979 quasi verstaatlicht – produziert in Lizenz auch andere Modelle von Peugeot oder Kia sowie nach wie vor drei Mercedes-Modelle: Den Rundhauber, den 813er sowie den O309 der 1970er Jahre. Ach ja, die wenigen US-Autos der Vor-Revolutionszeit sind heiß begehrt und werden hoch gehandelt. Aber mehr Auswahl gibt es dann auch nicht. Gefühlt also Trabant, Wartburg, Lada und Wolga …
Und ähnlich wie auf Kuba nutzen die Chinesen die Sanktionen des Westens für sich und etablieren ihre Produkte in allen Lebensbereichen landauf – landab.
Auffällig ist auch, dass die Silbe „Schah“ fast ausgemerzt ist und nahezu alle wichtigen Boulevards und Plätze jetzt in Imam Khomeini umbenannt wurden.
Auf dem Land gibt es einen Einheitstyp von Moscheen (quadratisch-praktisch-gut und erdbebensicher), einheitliche Kinderspielplätze, schöne Schulen, standardisierte Pavillons zum Picknicken und Trimm-Dich-Geräte zur allgemeinen Volksertüchtigung. In diesen Volksparks findet sich dann immer auch noch ein pavillonartiges Mausoleum für die Kriegsopfer. Mir hat es sich nur langsam erschlossen, dass mit diesen Maßnahmen vor allem das einfache Volk erkennen soll, wie gut der Staat – sprich die Religionsführer – für sie sorgen. Entsprechend groß ist demnach auch die Unterstützung der Landbevölkerung für das Regime und die jungen Soldaten der Revolutionsgarden rekrutieren sich wohl hauptsächlich dort. Aber auch dieser Umstand kommt bekannt vor, wenn man an die bildungsfernen Mannschaftsdienstgrade der deutschen SS denkt oder die Strukturen aller Armeen genauer ansieht.
Positiv ist uns aufgefallen, dass es viele Privatinitiativen und Anfänge zur Neugestaltung von Gästehäusern und touristischen Vergnügungen gibt, die aber leider sanktionsbedingt abgebrochen wurden. Überall sehen wir verlassene Baustellen. Besonders tragisch ist es dann, wenn Privatleute in den beginnenden Tourismus investiert haben und nun die Gäste im „Schurkenstaat“ ausbleiben oder die Inflation jeden Verdienst schluckt. Denn selbst die Inlandstouristen schauen auf jeden Rial, wenn sie an Neujahr ihren Urlaub im Land verbringen. Allein in den acht Wochen hier hat der Rial gegenüber dem Euro um 7% verloren!
Nun aber genug davon: Der Bazar lässt sich von nichts und niemandem beeindrucken und brummt, die Läden sind voll mit bunten Waren und frischem Obst und einen Tee mit einem Lächeln gibt es immer gratis dazu.
Privates Leben
In den Privathäusern oder auch so ergeben sich manchmal offene Worte. Auf keinen Fall sollen wir jedenfalls die Regierung mit den Menschen gleich setzen! Das wird nicht nur betont, sondern auch gelebt. Diese Freiheit hinter der Wohnungstür erleben wir dann ohne Hijab und in westlich legerer Kleidung, bei abenteuerlichen Geschichten, selbstgebranntem Weinbrand und klarem Entsetzen über Anzahl und Ausmaß der staatlich begangenen Menschenrechtsverletzungen. Ja, die Privatwohnungen ersetzen die Kneipen und Clubs, die es hier nicht gibt. So trifft sich die Teheraner Jugend mehrmals wöchentlich zu „House Parties“ im Freundeskreis.
Oft fragen wir uns auch, wie man hier finanziell „über die Runden kommt“. Jobs beim Staat gibt es wohl zuhauf – in einem Weltkulturerbe-Park waren morgens um 10 Uhr tatsächlich über 20 Angestellte mit roten Westen vor Ort, um uns zwei Besucher zu betreuen bzw. in Gruppen ein Schwätzchen zu halten! Auch wurden morgens um sieben schon bei einem abgelegenen Naturdenkmal die Toiletten gereinigt und der Müll des Vortags gesammelt. Und sonst? In den kleinen Läden und Werkstätten, die eigentlich immer geöffnet sind finden sich neben den Inhabern und Angestellten auch Freunde und Nachbarn auf einen Ratsch oder Tee, dann kommt noch jemand dazu, ein anderer geht – alles und jeder ist stressfrei unterwegs und lebt irgendwie in den Tag hinein. Ja, die Sanktionen wirken. Nicht nur sind die Auslandskonten der wenigen Superreichen eingefroren und unerreichbar, sondern auch der internationale Geldverkehr ist gestoppt. So kann kein Unternehmen Außenhandel treiben und auch von den Sanktionen nicht betroffene Produkte wie Medizintechnik oder Medikamente werden nicht eingeführt, da sie nicht bezahlt werden können oder nur über Umwege … Dazu kommt, dass diejenigen Länder (vornehmlich aus der EU), die ein USA-Geschäft haben, aus „Loyalität“ gegenüber den USA die US-Sanktionen strikt befolgen – und das päpstlicher als der Papst.
Der Straßenverkehr und die Polizei
Die einzigen Verkehrsregeln im Iran lauten ungefähr so:
- Wer vorne ist, hat Vorfahrt
- Leichter Kontakt ist erlaubt
- Fußgänger werden geschont
Dabei kennt jeder Fahrer die Dimensionen seines Autos ganz genau und schlängelt sich so gnadenlos durch. Parken in zweiter und dritter Reihe ist genauso okay, wie von ganz rechts einen U-Turn nach links über vier Fahrspuren zu machen, wobei der Gegenverkehr dann fast immer ausgebremst wird. Wenn dann die Verkehrspolizei (Haha!) oder echte Polizisten auftauchen, werden diese ignoriert – oder die Polizisten ignorieren den sehr individuellen Fahrstil. Nur bei Temposünden – und es gibt inzwischen fast alle 30-40 km Blitzer auf der Autobahn – versteht man keinen Spaß. Auch rote Ampeln werden respektiert – zumindest in Tehran, wo jede Ampel Verstösse aufzeichnet.
Bei den üblichen Checkpoints werden wir regelmäßig herausgewunken und man kontrolliert akribisch unsere Pässe. Die übliche Aufforderung lautet dann: „Passport.“ „Passport, please“ ist zumeist meine Antwort und der Pass wird entgegen genommen. Das fehlende Visum im Pass ist dann häufig ein Problem, was sich aber schnell klären lässt, da wir eine Kopie des elektronischen Visums dabei haben. Auch hier ist „Alman“ das Zauberwort und mit einem freudigen „Beckenbauer“, „Klinsmann“ oder „Kahn“ sowie mit Hand aufs Herz werden wir verabschiedet. Da wird dann auch mal über eine Geschwindigkeitsübertretung hinweggesehen..
Alles in Allem lässt sich sagen, dass uns bisher nirgendwo auf der Welt ein so kontaktfreudiges und freundliches Volk begegnet ist. Wenn man eine Zugverbindung sucht, steht sofort ein hilfsbereiter junger Mann da und recherchiert auf seinem Laptop. Wenn man vor einer geschlossenen Ladentür steht, wählt gleich jemand die auf dem Türschild vermerkte Handynummer. Wir werden beladen mit Geschenken, Getränken und Obst - wir sollen ja nicht vom Fleisch fallen. Oft wird auch nach vielfachem Protest unsererseits eine Bezahlung für einen Fisch oder ein bisschen Brot verweigert. Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, dass die Menschen einen aus wohlwollendem Interesse ansprechen und einfach aus Freude zu sich nach Hause einladen, und man absolut keine Bedenken dabei haben muss, dann kann man sich auf diese besondere Art der Kommunikation einlassen und diese pure Menschlichkeit geniessen. All die Bekanntschaften, die wir in kürzester Zeit gemacht haben waren Balsam für die Seele und sind eigentlich die schönsten Erinnerungen an unsere Reise. Ein herzliches Dankeschön an all unsere iranischen Freunde, ihr seid wunderbar!